Dritte Räume, eine Ausstellung in der Motorenhalle

Temped Tunes

Temped Tunes

Bignia Wehrli

Bignia Wehrli

Blumen für die Kuratorin

Blumen für die Kuratorin

Kuratorin und Künstlerin

Kuratorin und Künstlerin

Kuratorin Gwendolin Kremer

Kuratorin Gwendolin Kremer

Besucher und Video Aria

Besucher und Video Aria

In der Motorenhalle bietet sich zur Zeit eine Ausstellung, deren Philosophie unbedingt auf den Prüfstein gesellschaftlicher Logik gehört. Sie berührt nicht nur die Frage nach dem Sinn von Kunst, sondern auch die nach dem Sinn einer längst widerlegt geglaubten philosophischen Anthropologie eines Helmuth Plessner. Und da die Motorenhalle eine wichtige Dresdner Plattform für zeitgenössische Kunst ist, die nicht unerheblich zur kulturellen Bildung beiträgt, sei die noch bis zum 5. April betrachtbare Ausstellung empfohlen. Zu sehen sind die mit allen Mitteln (Fotografie, Video, Installation, Zeichnung und Collage) erstellten, „performativen“ Arbeiten der drei fast gleichaltrigen Künstlerinnen Judith Karcheter, Evgenija Wassilew und Bignia Wehrli, die ihre Zelte zur Zeit im gern als kulturellen Puls Deutschlands bezeichneten Berlin aufgeschlagen haben. Wie die Kuratorin der Ausstellung, Gwendolin Kremer; das geneigte Publikum zur Ausstellungseröffnung am gestrigen Abend wissen ließ, verbindet die Künstlerinnen das Thema einer „Fremdheitserfahrung in der Welt“. Ich dagegen würde nach meinem bisherigen Verständnis für die gezeigten Arbeiten eher von einem heftigen Infragestellen gewohnter Betrachtungen über die Welt sprechen und ihren völlig unkonventionelle Blickwinkel als fremdartig bezeichnen. Leider galt es wohl als uncool, den willigen Betrachter genauer in die rätselhaften Mysterien der gezeigten Exponate einzuführen. Zwar gab es  ein gefaltetes A3-Blatt mit der Laudatio und einer Exponatbeschreibung, aber das, was ich dort lesen konnte, pendelte zwischen komplizierten Worthülsen (Laudatio) und profaner Beschreibung des offensichtlich Erkennbaren (Exponatbeschreibung). So hieß es in der Laudatio, die Arbeiten verstünden sich als „Sichtbarmachung künstlerischer Prozesse“ und wenige Sätze weiter, sie führten auf „poetischen Nebengleisen eine künstlerische Auseinandersetzung mit den nicht greifbaren Vorstellungen von Himmel, Luft, Wind und Wasser“ . Ich sollte also zugleich hinnehmen, dass es nicht um künstlerische Aussage, sondern Sichtbarmachung des künstlerischen Prozesses gehe und meine Vorstellungen von den Elementen nicht greifbar seien. Zuerst ging ich gedanklich der Bemerkung nach, es ginge hier um die Sichtbarmachung künstlerischer Prozesse. Irritiert fragte ich mich, ob der künstlerische Prozess nicht besser im Fachaustausch mit anderen Künstlern diskutiert werden müsse? Was sollte ich als Rezipientin damit? Wenn ich mir einen Herd kaufen wollte, interessierte mich doch schließlich auch nicht seine komplette Entstehungsgeschichte, sondern einzig, wie und vor allem, ob er funktionierte! Besorgt schaute ich mich um, ob ich vielleicht versehentlich in eine Fachklasse, die gerade dabei ist Mixed Media zu studieren, geraten war. Tatsächlich erkannte ich einige Gesichter wieder und meine Vermutung, die Ausstellung sei vielleicht nur was für Künstler schien angesichts des Publikums nicht ganz abwegig. Ich spürte eine Art heimliche Freude. Dann würde ich ganz sicher etwas lernen können und ich nahm mir vor, den Gesprächen der Besucher zu lauschen. Doch dass meine Vorstellungen von Wasser schlicht nicht greifbar sein sollten oder die der intelligent und aufgeschlossen wirkenden Künstlerinnen, das blieb dennoch ein Mysterium. Nach der Laudatio steuerte ich beherzt das für meine Begriffe ästhetisch interessanteste Exponat an. In der Beschreibung war zu lesen: „Tempest Tunes. 2013, Glasröhren, Schwenkarme, Faden, Audioplayer, Durchmesser der Röhren 1,5 cm, Länge ca. 140 bis 230 cm.“ Ich machte mich daran, die Angaben zu überprüfen. Sie stimmten exakt, aber was sollte das Kunstwerk bedeuten? Weiter war zu lesen: „Der in einer Glasröhre eingefangene Fahrtwind wurde aus dem Fenster eines Autos bei einer Fahrtgeschwindigkeit von bis zu 200 km/h aufgenommen. Jedes Rohr produzierte durch die Wucht des Windes gelenkte Tonfolgen und Geräusche, die an die Windstärke eines Orkans heranreichen. Diese werden im Inneren der Gläser durch kleine Lautsprecher wiedergegeben.“ Ich schritt die Röhren also ab und lauschte. Eine gab keinen Mucks von sich, eine andere quietschte leise wie ein versehentlich noch eingeschalteter schlechter Lautsprecher, die dritte klang wie der Verstärker für eine E-Gitarre. Es frustrierte mich – kein Klangerlebnis ließ sich mit Fahrtwind assoziieren. Was ich sah und hörte, war technisches Spielzeug, das jeder angehende Musiker für ein Klangerlebnis besser hätte nutzen können. Was sollte ich mit einem Windklang, der keiner war – was sollte ich mit Windklang, selbst, wenn er einer gewesen wäre? Ich erinnerte mich daran, dass ich im Vorfeld einige Hoffnungen auf die Arbeiten von Bignia Wehrli gesetzt hatte. Was es im Internet über sie zu lesen gab, war ein wenig wie ein Versprechen. Die Künstlerin war im August 2012 ihrem Vater auf seinen landwirtschaftlichen Arbeitswegen mit einem GPS-Gerät gefolgt. Der Vater war im schweizerischen Sternenberg unterwegs, was als Wort imstande ist, einige romantische Assoziationen auszulösen. Offensichtlich löste es in ihr die Assoziation aus, des Vaters Wege auf der Erde mit dem Weg eines gut über dem Hof sichtbaren Sterns in der darauffolgenden Nacht zu assoziieren. Die Ergebnisse der Langzeitbelichtung in der Nacht und der GPS-Aufzeichnung am Tag wurden zunächst als dunkle Linien auf Fensterglas in Berlin gezeigt. Bei Sonneneinstrahlung, reflektierte sich ihr Schatten zugleich auf den Fußboden der Berliner Galerie. Für Dresden hatte Wehrli die geheimnisvollen Linien als Pigmentdruck hell, fast gleißend, auf dunkles Papier gebracht. Das waren zunächst ästhetisch schöne Bilder. In einem weiteren Exponat wurde dann in pseudowissenschaftlicher Manier der „Versuchsaufbau“ gezeigt, der zu der linearen Aufzeichnung der Sternenbewegung geführt hatte. Spätestens hier zeigte sich, das mit gewohnten Denkmustern den Intentionen  der Künstlerin wohl nicht beizukommen war. Letztlich hatte sich nämlich nicht der Stern bewegt, sondern die einen Stift führende Hand der Künstlerin. Der Stift wieder war durch eine Holzkonstruktion mit der senkrecht nach oben gedrehten Kamera verbunden und während er bewegt wurde, verwackelte also das von der Kamera fokussierte Bild des Sterns am Nachthimmel. Lediglich diese Wackelei hatte in der Langzeitbelichtung die Dokumentation einer Eigenbewegung vorgetäuscht. Aber damit nicht genug. Diese Täuschung war gleich doppelter Natur.  Im Exponat war unter dem herabhängenden Bleistift ein weiterer Pigmentdruck befestigt, was vorgaukelte, der magische Vorgang der Aufzeichnung sei gerade jetzt wie von Geisterhand in Gang gesetzt. Vielleicht, so dachte ich mir, will die Künstlerin ja darauf hinweisen, dass alles, was wir zu erkennen glauben, eine Frage unserer erdachten Versuchsaufbauten ist? Vielleicht wollte sie sich ein dazu ein wenig belustigen über den allzu akribischen Ernst, mit dem wir Menschen wissenschaftlich die Welt zu erkennen suchen? Aber warum könnte sie das tun? Der Bezug der Kuratoren zum Philosophen Plessner fiel mir wieder ein. Selbiger sprach von der doppelten Perspektive des Menschen, der seine Welt immer zugleich körperlich und geistig, was er identifizierte mit „künstlich“,  abbilden müsse. Welche Blasphemie aber spräche dann aus den Arbeiten der jungen Frau, die spornstreichs die gesamte Postmoderne vom Tisch wischte, um Platz für ein zutiefst mittelalterlich anmutendes: Die Welt ist uns nicht erkennbar und alle Erkenntnis führt uns zum Verlust von Moral und Dasein, zu schaffen? Die zweifellos auffälligste Arbeit der neuen Ausstellung stammt von Evgenia Wassilew und ist eine „Kanalvideoprojektion, DV-Pal mit Sound“. Die große Stellwand für die Videoprojektion ist so zentral im Raum platziert, dass schon während der Laudatio vermutlich alle den Film wahrgenommen hatten. Ohne Kenntnis des Titels „Aria“ hatte ich also bereits dabei zugesehen, wie Schlamm, Steine und einige welke Blätter in einem bräunlichen Seewasser über die Bildfläche wirbelten und gelegentlich die schlanke, geschmeidige Gestalt der Künstlerin auftauchte, um mit zunehmender Anstrengung und reichlichen Luftblasen etwas in ein „Hydrophon“ zu blubbern. Später erfuhr ich, dass sie versucht hatte, die Arie „Königin der Nacht“ aus Mozarts Zauberflöte zu „singen“. Dass dies im Tauchgang schwierig werden könnte, war anzunehmen und so pirschte ich mich in die Nähe der bereitgelegten Kopfhörer. Was da zu hören war, hatte große Ähnlichkeit mit heftigem Gurgeln beim Zähneputzen. Ähnlichkeiten mit besagter Arie konnte ich nicht erkennen. Wollte sie mit dieser Aufführung vielleicht anmahnen, dass im Falle einer weiteren Klimaerwärmung und damit verbundenen Überflutung weiter Landflächen unsere menschliche Kultur bis zur Unkenntlichkeit verzerrt würde?  Dass wir dem ohnmächtig ausgeliefert wären? Oder umgekehrt, wollte sie zeigen, dass die menschliche Kultur aus einer veränderten Perspektive nichts weiter ist,  als ein merkwürdiges Blubbern, die von uns geschaffene Technik zwar etwas von uns hörbar werden lässt, nur ist nicht geklärt, was eigentlich? Das wäre alarmierend. – Doch es alarmierte hier niemanden. Das überwiegend mit den Künstlerinnen gleichaltrige Publikum war nach gefühlten 5 Minuten dazu übergegangen, sich in losen Grüppchen zusammenzufinden und zu plauschen. Aber über Kunst, über die hier aufgestellten Rätsel, sprach niemand. Auch ich nicht. Auf dem Heimweg dachte ich darüber nach, warum das aufwendig erstellte Angebot der Künstlerinnen, ihre multiplen Rätsel, weder tief berührt noch beunruhigt hatten. Warum hatte die Kuratorin nicht die Fragen gestellt, die sie umgetrieben haben mochten? Wäre das wirklich so uncool?

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